Die Besonderheit der Orgel aus der Havelberger Stadtkirche ist, dass ihr Erbauer ein Meisterschüler des herausragenden Orgelbauers Joachim Wagner ist. Wagner (1690–1749), Zeitgenosse Johann Sebastian Bachs, war neben Gottfried Silbermann einer der bedeutendsten Orgelbauer des 18. Jahrhunderts und mit Abstand der Berühmteste in der Mark Brandenburg. Er hat Maßstäbe gesetzt, die bis heute nachwirken und wird deswegen auch der „Märkische Silbermann“ genannt. Eine seiner innovativen Erfindungen ist die „Gabelkoppel“, welche die alte und störanfällige Manualschiebekoppel ersetzt. Joachim Wagner erlernte das Orgelbauhandwerk bei einem Schüler von Arp Schnitger. Außerdem war er zwei Jahre als Geselle bei Gottfried Silbermann in Freiberg tätig. Somit verbinden sich durch Wagner zwei der besten und wichtigsten Orgelbauschulen seiner Zeit. Sein Meisterstück vollendete er 1723 mit der Orgel in der Berliner Marienkirche, die 3 Manuale und 40 Register besaß.
Zu Wagners Schülern, die seine Traditionen fortführten, gehörte Gottlieb Scholtze (1713– 1783). Scholtze macht sich ab 1740 als Orgelbauer und Bildschnitzer in Neuruppin selbstständig. Die Qualität seiner Instrumente erreicht die Perfektion von Wagner- Orgeln in vollem Umfang. Leider sind im Laufe der Jahrhunderte durch Kriege und Umbauten die meisten Instrumente von Wagner und Scholtze verloren gegangen. Es ist von diesen beiden Orgelbauern keine einzige dreimanualige Orgel erhalten geblieben. Von Wagner gibt es noch fünf größere zweimanualige Orgeln und von Scholtze drei. Ansonsten sind von beiden Orgelbauern nur noch einige kleine, einmanualige Instrumente erhalten. Zwei der insgesamt drei erhaltenen, größeren Scholtze-Orgeln stehen bisher nicht restauriert in Havelberg. Das dritte Instrument wurde 2007 in Lenzen sehr gut restauriert.
Die Orgel in der Havelberger Stadtkirche wurde von Gottlieb Scholtze 1754 als Neubau konzipiert, dessen Größe und Disposition vergleichbar ist mit den Wagner-Orgeln im Brandenburger Dom, der St. Marienkirche in Angermünde oder der Scholtze-Orgel in Lenzen.
Über 50% der Originalsubstanz sind heute noch erhalten. Im Gegensatz zur Scholtze-Orgel im Havelberger Dom ist in der Stadtkirche eine Rückführung auf den Originalzustand sinnvoll und notwendig. Die Domorgel dagegen wurde 1796 von Ernst Julius Marx deutlich vergrößert und umgebaut. Die Veränderungen von Marx sind erhaltenswert und können auch aus denkmalpflegerischer Sicht nicht zurück geführt werden.
Somit haben beide Havelberger Scholtze-Orgeln ein ganz eigenes Klangbild und stehen musikalisch absolut nicht in Konkurrenz zueinander. Die Rückführung in den Originalzustand der Stadtkirchenorgel ist wegen der herausragenden Klangqualität und der Seltenheit dieser Instrumente ein kulturhistorisch extrem wichtiges Projekt von deutschlandweiter Bedeutung. [>> weiter zum Projekt Restaurierung]